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René Graetz (1908 bis 1974)
Skulpturen, Zeichnungen, Siebdrucke

Ausstellungsdauer
3. Juni bis 16. Juli 2005

Abb.*

 
 
Vernissage
Donnerstag, den 2. Juni 2005, 19 Uhr


Es spricht:
Dr. Fritz Jacobi, Kunsthistoriker, Berlin
Kustos der Neuen Nationalgalerie
der Staatlichen Museen Berlin

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Fritz Jacobi

Eröffnungsrede zur Ausstellung
René Graetz (1908 – 1974)
Skulpturen, Zeichnungen, Siebdrucke


Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Lieber Patrick Graetz!

Es ist schon anrührend, wenn Elizabeth Shaw, diese wunderbare irische Zeichnerin und zweite Frau von René Graetz, ihn ihren Erinnerungen an ihren Mann schreibt: »Wenn ich an René denke, denke ich an sein lebhaftes Temperament, seinen Charme, seinen Großmut – und vor allem an die vielen Konflikte, an denen er beteiligt war und die in ihm waren. (?) Den großen Konflikten unserer Zeit versuchte er Ausdruck zu geben, mal episch, mal lyrisch. Aber über seine Kunst laß ich Andere reden. Er war öfters über mich verärgert, weil ich, wenn er mir eine Arbeit zeigte, nur sagte, daß ich sie schön finde. ?Kannst Du nicht anderes sagen?, brummte er. Ich möchte nur sagen, daß ich es immer noch schön finde.«

Allein aus dieser liebevollen Charakterisierung heraus glaubt man zu spüren, von welcher Unrast der 1908 in Berlin geborene und 1974 in Graal-Müritz verstorbene Bildhauer und Graphiker René Graetz zeitlebens getrieben wurde. Das gilt nicht nur für das bewegte Leben des Sohnes eines Russen deutscher Abstammung und einer Italienerin – Berlin, Genf, lange Jahre in Kapstadt in Südafrika, seit 1939 in London, bald darauf in der Internierung in Kanada und dann seit 1946 wieder Berlin, im Ostteil der Stadt, sind die Hauptstationen -, sondern es bezieht sich vor allem auf seine Suche nach einem gültigen künstlerischen Ausdruck, in dem er sowohl seine Botschaft des Humanen als auch seine künstlerische Gestaltungskraft in Einklang bringen konnte.

Im Rückblick auf einen solchen Lebens- und Schaffensverlauf mutet es immer wieder schmerzlich an, wie der von gesellschaftlichen Utopien erfüllte Künstler von den Verhältnissen, die er selbst gesucht hatte und in deren Dienst er sich bewusst stellte, wiederholt zurückgestutzt und auf Ebenen zurückgeworfen wurde, die seinem künstlerischen Potential nicht entsprachen. Es liegt schon Tragik in solchen Biographien, wie etwa auch der seines Mitstreiters Horst Strempel, deren Impetus in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren der Gestaltung einer neuen Zeit, auch einem neuen Menschenbild galt, deren Wandbilder aber – und Graetz war daran wesentlich beteiligt – heftigste Diskussionen auslösten oder in der Zeit der so genannten »Formalismus-Debatte« wieder entfernt wurden - wie etwa mit dem Wandbild in der Schalterhalle des Berliner Bahnhofs Friedrichstraße geschehen.

So konnten auch die in Graetz selbst vorhandenen widersprüchlichen Intentionen nicht so ausgetragen werden, wie es gerade für sein Naturell wichtig gewesen wäre. Denn die Unruhe in ihm selbst, seine sympathische Naivität und sein mehr geahntes Empfinden der ihm möglichen Ausdrucksformen hätten einen entsprechenden Freiraum gebraucht, um wirklich erprobt werden zu können. So setzte er sich auch selbst Grenzen, die er andererseits immer wieder zu durchbrechen suchte. Man fühlt förmlich die befreiende Wirkung, die mit der Gestaltung der »Upright Figures« seit 1970 verbunden war, als er im März 1970 in sein Tagebuch schrieb:

»März 1970 – fange von vorn an – mein Formgefühl ist verbraucht – ich muß nach neuen Formbeziehungen suchen. Ist die menschliche Gestalt das einzige Medium, in der Skulptur neue Ideen auszudrücken? Mit Sicherheit nicht. Ich muß innehalten und nachdenken – nachdenken über alles, was ich in den letzten zwanzig Jahren gemacht habe. In vielerlei Hinsicht habe ich 20 Jahre meines Lebens verloren. Ich werde erst einmal einige einfache Übungen zu (neuen) Formbeziehungen machen, menschliche (Körper)formen nutzend, oder solche, die hieraus abgeleitet sind, um hieraus eine neue Formensprache zu entwickeln.«
Und etwas später notierte er: »Es ist erstaunlich, wie (jetzt) eine neue, weitaus plastischere Formbeziehung entstanden ist. Die Formen selbst sind (auch) viel eigenständiger. Ich bin – solange ich mich erinnern kann – nicht mehr so glücklich und zufrieden gewesen.«

Und so wird diese späte Phase seines Schaffens zu einem Höhepunkt seiner Arbeit, weil er sich aus Bindungen entlässt, die ihm vorher von außen und innen entgegenstanden und eine wirklich freie Formentfaltung seiner Formimagination nicht genügend ermöglichten. Andererseits ist dieser expressive Gestaltungstrieb, der ihm ganz eigentlich entsprach, auch in seinem vorangegangenen Werk als deutliche Spurenlegung unverkennbar immer mit im Spiel – die hier ausgestellten zwei Zeichnungen von 1940 lassen das überzeugend erkennen.

Trotz alledem – so könnte man sagen – hat Graetz ein Werk geschaffen, das in seinen besten Leistungen zu einem wichtigen Bestandteil deutscher Kunst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts geworden ist, was diese Ausstellung hier in schöner Klarheit auch belegt. Besonders seine abstrahierten Skulpturen, aber auch ein Teil seiner gestrafften Figuren, viele Blätter seines druckgraphischen Werkes und vor allem eine ganze Reihe von Zeichnungen vermitteln die Kraft und Intensität einer lebendigen Zeichengebung.
Denn Graetz lotet die Spanne zwischen leiblich-anschaulicher Erfahrung und der Bändigung dieser bewegten Vitalität in vergleichsweise einfachen Symbolverdichtungen mit einer gefestigt-vibrierenden Formensprache voll aus. René Graetz, der einst von den Skulpturen Brancusis fasziniert war, ist ein Künstler, der das Gesehene, Erlebte, Gefühlte durch Verwandlung hindurch transparent machen wollte – der freie Umgang mit dem Organischen oder Vegetativen, zuweilen auch mit dem Kosmischen, ermöglichte ihm die angestrebte phantasievolle Anreicherung und die zurückführende Komprimierung, die seinen Gestaltformationen einen eigenen Ausdruck, eine neue Körperlichkeit und eine andere räumliche Präsenz verleihen.

Es werden Formgebilde geschaffen, die in ihrer potentiellen Verfremdung und zeichenhaften Verknappung elementare Bewegungen deutlich werden lassen – Bewegungen, die oft von einem dramatischen Impuls inspiriert sind oder von Kräften des Wachstums und damit des Werdens und Entfaltens erfüllt werden.
Graetz bündelt Energien. Und in dem er diese Energien skulptural einbindet und zugleich linear ausfluchten lässt, treibt er seine Gestaltfindungen zu Kontrast und Synthese von geschlossener und offener Form, von plastischen und graphischen Momenten, aber auch von abstrahierter und gegenständlicher Signalwirkung, was seinen Arbeiten ihre ganz eigene Spannung gibt.
Und das gilt sowohl für seine Plastiken als auch für seine Flächenarbeiten. Graetz, der zweifellos in Picasso und Henry Moore, den er in England persönlich kennen gelernt hatte, seine entscheidenden Bezugspunkte sah, sucht das eine im anderen, das Körperliche in der Flächenverzweigung und die linearen Führungen in der leiblichen Ausprägung - immer von der Dynamik des Formwollens bestimmt.

Lassen Sie mich schließen mit zwei Zitaten von René Graetz, in denen er mit der Bedeutung des Expressionismus letztlich auch seine eigenen Wurzeln anspricht, die er zugleich auch als eine Haltung begriff. Schon 1957 schrieb er in der Zeitschrift »Bildende Kunst« – und dazu gehörte seinerzeit durchaus Courage:
»Ob man zurückgeht bis zu Grünewald und Cranach oder bis zu Beckmann und Kokoschka (ich bitte den österreichischen Kunstkritiker um Entschuldigung), eines einigt die deutsche Kunst: der Expressionismus. Wir müssen lernen, unserer großen Tradition zu vertrauen. Wieviel weiter wären wir heute in der bildenden Kunst, wären wir mutiger gewesen, hätten wir mehr im Geiste der Unabhängigkeit gearbeitet, unserer eigenen Tradition, dem Expressionismus folgend, der unsere nationale Form des Realismus ist.«
Und Jahre später hat er einmal formuliert: »Eine Form muß innere Spannung haben. Spannung ist nicht nur eine physische Eigenschaft – viel hängt vom geistigen Standpunkt ab.«

Schönen Dank!

 

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