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                Rede zur Vernissage der Ausstellung am 13. März 2008von Professor Peter H. Feist, Kunsthistoriker, Berlin
 
 Professor Richard Heß konnte im vergangenen Jahr seinen 70. 
                Geburtstag feiern und ist weiterhin ungemindert produktiv, so 
                wie seit Jahrzehnten. Er zeigt nun vor allem neue Werke, aber 
                dazwischen stehen einige ältere, damit wir besser sehen und 
                würdigen können, wie dauerhaft und prinzipienfest, aber auch wie 
                frisch und modifizierbar sein Kunstbegriff ist, Ich habe mich 
                entschieden, seinen Lebenslauf nicht vorzutragen. Er kann 
                nachgelesen werden. Ich würde Sie auch noch länger vom Anschauen 
                des heute Ausgestellten abhalten, wenn ich die atemberaubend 
                langen Listen seiner im öffentlichen Raum wirkenden Werke und 
                seiner Ausstellungen vorlesen würde. Ich möchte das nur erwähnt 
                haben, weil es Symptome dafür sind, wie sehr es Richard Heß 
                gelungen ist, dass seine Plastik vielen Zeitgenossen zu etwas 
                Wichtigem geworden ist und das auch in Italien, einem Land mit 
                einer so großartigen Tradition von Bildhauerkunst und einer so 
                skeptischen Umstellung zu deutscher Art und Kunst. Man wird 
                nicht so leicht ein Korrespondierendes Mitglied der Accademia 
                Nazionale di San Luca! Wir sehen hier nichts von den oft ganz 
                eigenartigen Reliefs von Professor Heß, und von seinen 
                Zeichnungen ausschließlich Landschaften. Sie unterstreichen 
                eines der Merkmale, die ich an seinem bildhauerischen Schaffen 
                hervorheben möchte: Et geht konsequent vorn Anschauen der 
                Realität aus, selbst wenn er einmal einen Ausflug in die 
                Mythologie macht. Viele Kunstkritiker, die über ihn schrieben, 
                nennen ihn zu Recht einen Beobachter. Er bleibt dabei freilich 
                nie gleichgültig, nimmt vielmehr Anteil, u. zw. völlig 
                unsentimental, und weitet, gegebenenfalls zu Recht voll Zorn, 
                aber niemals plakativ agitierend.
 Er hat sich in die großartigen Traditionen europäischer 
                plastischer Menschendarstellungen gestellt und die Reduktion auf 
                ein ungegenständliches bloßes Formenspiel ebenso vehement 
                abgelehnt wie den Rückgriff auf Variationen von Primitivität. 
                Für Heß ist die menschliche Figur ein kultureller Wert, und zwar 
                vorzugsweise als ein unversehrtes Ganzes, und ebenso traditionsverbunden vorwiegend als sinnlich anziehende weibliche 
                Figur, weil er ein Mann ist, und weil die gerundeten, vom Kern 
                her die Oberflächen spannenden Kannen einen Inbegriff von 
                Plastik ergeben. Eine der Ursachen für die Anziehungs- und 
                Wirkungskraft der Werke von Richard Heß dürfte sein, dass jedes 
                mehrfach und auch gegensätzlich zu verstehen ist und damit unser 
                eigenes Mitdenken und Werten herausfordert. Dies ist nun ein 
                Wesenszug aller wirklich bedeutsamen Kunst.
 Die Bilder von menschlichem Dasein, zu. denen es Heß drängt, und 
                die er uns vorhält, preisen einerseits Lebenskraft, und 
                Sinneslust, zeigen andererseits deren Gefährdung, Verletzung, 
                Zerstörung an und bezeichnen viele Abstufungen zwischen diesen 
                Polen. Heß hat immer wieder Gestalten geschaffen, die ganz 
                heftig Gewalttätigkeit in Krieg und Völkermord anprangern, Die 
                heutige Auswahl konzentriert sich auf stillere Bilder, die von 
                einem persönlichen Leid oder der Verlassenheit eines einsamen 
                Trinkers erzählen. Da wird die Fähigkeit von Heß sichtbar, mit 
                sparsamen Formen psychische Vorgänge zu erfassen, einen 
                Charakter erkennbar zu machen. Das gilt ebenso für Figuren, aus 
                denen. Lebensbejahung spricht, so wie bei der »Bella Cescnate«, 
                der Schönen, die er in Cescna beobachtete. Dabei ist immer auch 
                ein Moment der verunsicherten Frage im Spiel, das verhindert, 
                dass es zu einer wirklichkeitsfremden platten Idealisierung 
                kommt. Für den Realismus von Heß ist es zwingend, dass er seinen 
                Figuren innere Widersprüche mitgibt, bzw. an ihnen aufdeckt. Das 
                ist, ich wiederhole es, ganz grundsätzlich ein Merkmal wirklich 
                bedeutsamer Kunstwerke. Eine Badende ist ein Lieblingsthema in 
                der Plastik seit dem 19. Jahrhundert. Die »Badende VI« von 2003 
                fasst dieses Thema anscheinend ganz genrehaft auf. Die Haltung 
                der Frau und das Badetuch lassen irgendwie an Sauna denken. Aber 
                die verängstigt Wirkende sitzt so an einer Kante, als könnte sie 
                gleich in einen Abgrund gestoßen werden (über die Gestalt des 
                hohen Sockels kann man streiten), und ihr Gesicht, ganz anders 
                modelliert als der Leib, ist zu einer dümmlich glotzenden Maske 
                stilisiert. Ist das eine scherzhafte Karikatur oder eine 
                beklemmende Lebensallegorie? Wohl eher das Letztere.
 Heß hält daran fest, dass ein plastisches Bildwerk unbewegt und 
                unveränderlich ist, kein Mobile. Aber seine Figuren zeigen fast 
                durchgängig Bewegung, eine momentane Drehung, eine rasche 
                Wendung, oder sie suggerieren auf andere Weise Veränderung und 
                zeitlichen Verlauf, So auch durch die Gestaltung von Torsi, die 
                an Verlorengegangenes erinnern oder künftige Vollendung andeuten 
                können, Nur das sich Ändernde wird der Wirklichkeit gerecht, die 
                in ständigem Fluss ist.
 Niemand kann sich der Zukunft sicher sein. Die Künstler gelten 
                nicht länger als die Seher, die Wahrheit und Zukunft verkünden. 
                Aber die besten unter ihnen können uns Mögliches vor Augen 
                fuhren und Wahrscheinliches, das, was als Wahrheit erscheint: 
                warnend, auch hoffend und vielleicht ermutigend. Die Kunst von 
                Richard Heß leistet das. Deshalb ist sie uns wertvoll, und 
                deshalb freuen wir uns schon heute auch auf die nächste 
                Ausstellung von Professor Heß!
 
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